Inmitten der hochgewachsenen, modernen Wolkenkratzer von Manhattan steht beinahe versteckt ein Gebäude, das vor 100 Jahren, als das Flugzeug als Verkehrsmittel erst in den Kinderschuhen steckte, das Tor zur Welt war. Das Grand Central Terminal ist der prachtvolle Hauptbahnhof von New York. Bis heute ist der auf zwei unterirdischen Ebenen mit 44 Bahnsteigen und 67 Gleisen ausgestattete Bahnhof der größte der Welt.
Seine erste Eisenbahnlinie bekam New York 1831. Cornelius Vanderbilt war einer der Männer, die im 19. Jahrhundert mit Eisenbahnen zum Millionär wurden. Der seinerzeit reichste Mann der Welt besaß mehrere dutzend Eisenbahnlinien, die er später mit anderen Bahnunternehmern zu einer Gesellschaft zusammenschloss. Er war es auch, der 1869 das Gelände zwischen der 42. und 48. Straße erwarb und darauf das Grand Central Depot bauen ließ.
Als Züge noch dampften
Der Endbahnhof, der 1871 seinen Dienst aufnahm, lag damals noch am Stadtrand, wohin man die dampfenden Eisenbahnen verbannte. Zwischen 1899 und 1900 wurde das Hauptgebäude des Depots, das auch Büros der Eisenbahngesellschaften beherbergte, erweitert und umgestaltet. Das Gebäude, das schon damals über eine stattliche Bahnhofshalle verfügte, wurde in Grand Central Station umbenannt und wird im alltäglichen Sprachgebrauch noch immer so genannt.
Als 1902 in den vollgequalmten Tunneln unter New York zwei Züge zusammenstießen und dabei 15 Menschen starben, gab es eine Kehrtwende in der Eisenbahnpolitik. Eine Woche nach dem tragischen Unfall wurde ein Plan für einen neuen Bahnhof und elektrische Züge vorgelegt.
Den Architektenwettbewerb für den neuen Etagenbahnhof gewann das Büro Reed & Stem. Reeds Schwester war mit dem Vizepräsidenten des Baukomitees verheiratet. Später kam noch das Architekturbüro Warren & Wetmore dazu. Warren war der Cousin von Eisenbahnchef William Henry Vanderbilt, dem ältesten Sohn und Nachfolger von Cornelius Vanderbilt.
Neben guten Beziehungen hatten die Architekten aber offenbar auch Talent. Denn das, was sie am 2. Februar 1913, genau eine Minute nach Mitternacht, nach zehnjähriger Bauphase der Öffentlichkeit übergaben, wurde in eine Reihe gestellt mit dem Eiffelturm in Paris und dem Kristallpalast in London. Mehr als 150.000 Menschen ließen es sich nicht nehmen, das Grand Central Terminal gleich am Eröffnungstag zu bestaunen.
Mehr Palast als Bahnhof
Der formvollendete Bau im Stile der Beaux Arts gleicht mehr einem Palast als einem Bahnhof. Die symmetrisch angelegten Bogen- und Säulenkompositionen der Fassaden sowie die Doppeltreppen aus Marmor verleihen dem Haus Imposanz und Würde. Gleiches gilt für die 37 Meter breite und 84 Meter lange Haupthalle, deren dunkelblaue Deckenausmalung in 38 Metern Höhe einen künstlichen Sternenhimmel darstellt. Der französische Maler Paul Helleu brachte die Sternzeichen so an, als würde man den Himmel nicht von der Erde, sondern aus Gottes Blickwinkel heraus betrachten. Insgesamt 2.500 Sterne malte er auf die Bahnhofsdecke.
Auch die in der Eingangshalle zentral über dem Informationsschalter positionierte Messinguhr, die in alle vier Himmelsrichtungen die Zeit anzeigt, ist ein Augenfang. "Meet me at the clock!", sagt man in New York. Eine noch prächtigere Uhr befindet sich über dem Haupteingang des Bahnhofs an der 42. Straße. Die mit vier Metern Durchmesser weltgrößte Tiffany-Uhr wurde 1900 aus florentinischem Glas gefertigt. Sie wird gerahmt vom steinernen Skulpturenensemble aus den römischen Gottheiten Herkules, Merkur und Minerva.
Interessant auch die Tatsache, dass das Grand Central Terminal über einen verborgenen Bahnsteig verfügt, der dank eines unterirdischen Gangs direkt ins Luxushotel Waldorf Astoria führt. Präsident Franklin D. Roosevelt nutzte ihn, um seinen Rollstuhl vor der Presse zu verbergen. Sein Zug rostet dort noch immer vor sich hin.
Hätten Sie's gewusst?
Im Grand Central Terminal verpasst aufgrund des ständigen Gedränges und der langen Wege jeder zehnte Bahnreisende seinen Zug. Dabei arbeitet der Bahnhof bereits mit einem so einfachen wie genialen Trick: Auf allen Anzeigetafeln geht die Uhr eine Minute vor um den Reisenden einen Zeitpuffer zu verschaffen.
Im Jahr 1947 nutzten gut 65 Millionen Amerikaner Grand Central und damit rein statistisch beinahe jeder zweite Einwohner des Landes (40 Prozent der Gesamtbevölkerung). Nach einigen Jahrzenten des Glanzes, in denen der Bahnhof zu verschiedenen Zeiten sogar eine Galerie, ein Kino, eine Kunstschule und ein Museum beherbergte, schritt der Verfall voran. Günstige Flüge stellten die Bahn aufs Abstellgleis.
Vor dem Abriss bewahrt
1967 sollte der Bau abgerissen werden und für neue Wolkenkratzer weichen. Dass die Halle noch steht, ist allen voran Jacqueline Kennedy Onassis zu verdanken, die sich wehrte und einen Teil des Volkes mobilisierte. "Wenn jemand ihre historische und spirituelle Vergangenheit zerstört, stirbt etwas in den Menschen.", sagte die Präsidentenwitwe. Der Hauptbahnhof blieb, wurde jedoch umgebaut und mit einem 55-stökigen Hochhaus bebaut.
Erst 1976 wurde der Bahnhof unter Denkmalschutz gestellt, doch das Gebäude verfiel weiter. 1990 schließlich wurde das Bauwerk innerhalb von acht Jahren für 600 Millionen Dollar aufwendig saniert. Seitdem ist das Grand Central Terminal wieder ein Glanzstück der Stadt und der ganze Stolz der New Yorker.
Auch wenn hier schon lange keine Fernverkehrszüge mehr halten, frequentieren weit über eine halbe Millionen Menschen pro Tag Grand Central. Damit ist es das meistbesuchte Gebäude New Yorks. Immerhin dient der Bahnhof nicht nur als Anschlussstelle an den regionalen Bahnverkehr, sondern auch als beliebtes Einkaufs- und Gastronomieparadies.